Schreibworkshop

Schreibworkshop

„Schreiben wie zur Zeit der Wilhelmine“

„Schrift ist die Malerei der Stimme!“, so sagt schon Voltaire. Die Handschrift ist wie ein Fingerabdruck – einmalig und einzigartig. Jeder von uns hat mehrere Schriften, abhängig vom beabsichtigten Zweck des Schreibproduktes (kunstvoller Liebesbrief oder schnell notierter Einkaufszettel), dem Schreibmaterial, der Schreibunterlage und der emotionalen Verfassung während des Prozesses des Schreibens. Im Rahmen der Ausbildung zum Förderlehrer gehört es natürlich auch dazu, dass man als künftige Lehrkraft die im Lehrplan verankerte Schreibschrift kennt und beherrscht.

Als Einstieg in die vielfältige Thematik der Entwicklung der Schrift besuchte unsere Erstjährigen Frau Schulte vom Historischen Museum in Bayreuth. Von ihr erfuhren wir bahnbrechende Schritte im Laufe der Geschichte, die über den Lauf der Jahrtausende und Jahrhunderte zu unserer heutigen Schrift führten. Schrift war zu allen Zeiten dynamisch und der Veränderung unterworfen. Angefangen von den Keilzeichen der Sumerer über die Hieroglyphen entstanden vor tausenden von Jahren an den verschiedensten Ecken der Welt unterschiedliche Zeichensysteme, bis schließlich das heutige Alphabet entstand. Dabei ist die chinesische Schrift das Zeichensystem, dass sich über die Jahrhunderte und Jahrtausende am wenigsten verändert hat. Eine bahnbrechende Erfindung war sicherlich die Erfindung des Buchdrucks von Gutenberg, der als erster mit beweglichen Buchstaben arbeitete, um Schriften zu vervielfältigen. Ansichtsexemplare der einzelnen Schriftarten aus den verschiedenen Jahrhunderten durften wir dabei „in die Hand nehmen“ und genauer untersuchen.

Die einzige Schrift, die es übrigens nur in Schreibschrift gibt, ist die arabische Schrift. Die erste Schreibschrift in Europa war die „Gotische Kursive“ im 13. Jahrhundert. Ab diesem Zeitpunkt nahm die Bedeutung der Schriftlichkeit immer mehr zu und aus dieser heraus entwickelten sich im Laufe der Geschichte die verschiedenen Schreibschriften.

In der mitgebrachten Schatztruhe des Historischen Museums lernten wir dann auch unterschiedliche Schreibgeräte und Schreibmaterialien der letzten Jahrhunderte kennen: Schreibrohre aus Bambus oder Schilfrohr, Gänsefedern, Griffel mit Wachstäfelchen, Schiefertafeln mit Schiefergriffel oder Kreide. Doch auf welchen Materialen hat man früher eigentlich geschrieben? Zunächst auf Holz, Rinden, Tonscherben oder Knochen. Später wurde Papyrus in Ägypten erfunden. Irgendwann ging dieser Rohstoff allerdings aus, so dass man eine neue Schreibgrundlage brauchte. Das war der Startschuss für die Erfindung des Pergaments. Neu für viele von uns war dabei, dass das früher benutzte Pergamentpapier aus Tierhaut – vorzugsweise der Haut junger Kälber – hergestellt wurde. Von daher stammt auch die Redensart „Das geht auf keine Kuhhaut!“.

Natürlich durften wir die unterschiedlichen Schreibgeräte und Materialien sowie die unterschiedlichen Schreibschriften im Anschluss nach Herzenslust ausprobieren. Gar nicht so einfach mit Tinte und Feder zu schreiben! Besonders hier wurde uns der Wert und die Sinnhaftigkeit einer verbundenen Schreibschrift offensichtlich, um flüssig, gut lesbar, flott und optisch ansprechend (ohne Tintenkleckse) schreiben zu können.

Ist die Handschrift im Zeitalter der Digitalisierung heute noch „up to date“? Wir sind uns alle einig, dass es nach wie vor Bereiche im Leben gibt, wo die Handschrift nicht wegzudenken ist. Sie ist Grundlage für schnellen und unkomplizierten gegenseitigen Austausch, Grundlage für die eigene Lernreflexion, sie kann zeitlich und kognitiv entlasten und ermöglicht ein aktives, selbstständiges und selbst gesteuertes Lernen. Zudem ist Schreiben an sich ist ein unheimlich aktiver Vorgang: es sind dabei 12 Hirnareale, 30 Muskeln und 17 Gelenke beteiligt. Somit leistet die Handschrift auch einen wichtigen Beitrag zur Hirnentwicklung gerade unserer jungen Schüler.

Was wir auch noch alle am eigenen Leib spürten? Schreiben mit Feder und Tinte – wie zu Zeiten Wilhelmines – hat etwas unendlich Meditatives. Schreiben wird hier zu einem bewussten Erleben, das nicht einfach nebenbei schnell von der Hand geht. Schreiben war, ist und bleibt ein Erlebnis mit Kopf, Herz und Hand!

Ein herzliches Dankeschön an Frau Schulte vom Historischen Museum, dass Sie es uns ermöglichte innerhalb von 90 Minuten eine Zeitreise durch die Geschichte der Schrift tatkräftig und aktiv zu erleben!

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